where the dust dwells
and the rust sings
dusk is silently falling
like silver snowflakes
into oblivion

14 December 2010

BOOKS FOR URBAN EXPLORERS # 1
MERVYN PEAKE: GORMENGHAST 1-3

NEUN
Es gab im Südflügel einen fast vergessenen Treppenabsatz, einen Treppenabsatz, der seit vielen Dekaden von aufeinanderfolgenden Generationen taubengrauer Mäuse bevölkert wurde, sonderbar kleinen Tieren, ein wenig kürzer als ein Fingerglied und in diesem Südflügel heimisch, denn man traf nirgendwo anders auf sie.
In den vergangenen Jahren musste dieser unbenutzte Gangstreifen, an der einen Seite mit einem hohen Geländer abgegrenzt, für eine oder mehrere Personen von lebhaftem Interesse gewesen sein; denn wenn die Farben auch zum größten Teil verblichen waren, müssen die Dielen doch einst tiefglühend scharlachrot gewesen sein und die drei Wände von leuchtendsdem Gelb. Das Geländer war abwechselnd apfelgrün und azurblau, von der gleichen Farbe die Rahmen der türlosen Durchgänge. Die Flure, die in enger werdender Perspektive von hier fortführten, setzten das Scharlachrot des Fußbodens und das Gelb der Wände fort, lagen aber in tiefstem Schatten.
Das Balkongeländer lag nach Süden, und in dem schrägen Dach darüber ließ ein Fenster Licht ein, manchmal auch die Sonne, deren Strahlen aus diesem stillen, vergessenen Treppenabsatz einen Kosmos schufen, ein Firmament sich bewegender Stäubchen, hell beschienen, eine astrale und zugleich solare Provinz; denn die Sonne fiel in langen Streifen ein, und diese tanzten mit den Sternen. Wo die Sonnenstrahlen auftrafen, brach eine Wand in Krokuslicht auf, und das Geländer flammte wie bunte Schlangen.
Aber selbst am wolkenlosesten Sommertag, wenn die Sonne durchbrach, lag in den Farben das Pigment des Verfalls. Es war ein Rot, das die sengende Flamme von den Dielen verloren hatte.
Und über diesen Zirkusboden vergangener Farben bewegten sich die Familien grauer Mäuse.
Als Titus zum ersten Mal auf das bunte Geländer des Treppenhauses stieß, geschah es an einer Stelle zwei Stockwerke unter dem gelbwändigen Balkon. Er hatte jenes untere Stockwerk untersucht, sich verirrt und Angst bekommen, denn Zimmer auf Zimmer lag entweder höhlenartig unter Schatten oder in Sonnenschein schwimmend, der den Staub auf den breiten Dielen beleuchtete - dem Kind irgendwie noch furchterregender in seiner goldenen Verlassenheit als die tiefsten Schatten. Hätte er nicht die Fäuste zusammengeballt, hätte er geschrien, denn das Fehlen von Geistern in den verlassenen Hallen und Räumen war an sich schon entnervend; es herrschte jedenfalls ein Gefühl, als habe etwas gerade den Flur oder die Halle verlassen, die er betrat, oder die Bühne lag bereit für sein Erscheinen.
Mit dieser Vorstellung im Kopf und mit laut hämmerndem Herzen umrundete Titus plötzlich eine Ecke und stieß auf einen Teil des Treppenhauses zwei Stockwerke unter der Heimsuchung der grauen Mäuse.
Als Titus die Treppe sah, rannte er sogleich darauf zu, als sei jede Geländerstange ein Freund. Selbst in der Flut seiner Erleichterung, selbst unter dem hohlen Echo seiner Schritte, weiteten sich seine Augen beim Anblick des Apfelgrüns - des Azurblaus vom Geländer, eine jede Stange eine schmale Säule des Trotzes. Nur der Handlauf, den diese bunten Dinger stützten, war farblos und von glattem, abgegriffenem, elfenbeinernem Weiß. Titus umklammerte das Geländer und spähte hinab. In den Tiefen unter ihm schien wenig Leben zu sein. Langsam flog ein Vogel an einem fernen Absatz vorbei; von einer im Schatten liegenden Wand drei Stockwerke unter dem Vogel fiel ein Stück Verputz ab - das war alles.
Titus blickte nach oben und erkannte, wie dicht er sich an dem Ende der Treppe befand. Er war zwar ängstlich darauf bedacht, der Atmosphäre dieser oberen Regionen zu entfliehen, doch konnte er nicht widerstehen, bis nach oben zu rennen, wo die Farben brannten. Die kleinen grauen Mäuse quietschten und schossen über den Gang zu ihren Löchern. Ein paar verharrten gegen die Wand gedrückt und beobachteten Titus ein Weilchen, ehe sie zum Schlafen oder Knabbern zurückkehrten.
Die Atmosphäre erschien dem Jungen unbeschreiblich golden und friedlich, so friedlich, dass die Nähe zu dem hohlen Raum darunter sein Entzücken nur wenig beeinträchtigte. Er setzte sich, den Rücken an eine gelbe Wand gelehnt und beobachtete, wie die weißen Staubkörnchen in den langen Strahlen manövrierten.
"Das ist meins, meins!" sagte er laut. "Ich habe es gefunden!"
GORMENGHAST, ZWEITES BUCH: DAS SCHLOSS

MERVYN PEAKE

HOBBIT PRESSE KLETT-COTTA

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